Offener Brief der Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) der Großregion

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#SchengenInCrisis

In diesen Tagen vor 25 Jahren trat das Schengener Abkommen in Kraft. Damit gipfelte die mutige Idee von Austausch und europäischer Zusammenarbeit, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und Jahrhunderte langer Feindschaft begann, in einem für alle spürbaren Zusammenschluss einer europäischen Gesellschaft. Schengen ist nicht nur ein Grenzort in Luxemburg, sondern das Herz unserer Großregion, die Seele der Europäischen Union. Dafür setzen wir uns als überzeugte Europäer*innen seit mehr als 70 Jahren auf dem ganzen Kontinent ein.

Die Großregion zählt knapp 12 Millionen Einwohner*innen in Belgien, Deutschland, Frankreich und Luxemburg. 12 Millionen Europäer*innen, die tagtäglich, ob bewusst oder unbewusst, die europäische Idee leben. Davon pendeln jeden Tag rund 240.000 Menschen von einem Teilgebiet der Großregion zu ihrem Arbeitsplatz in einen anderen Teil. In keiner anderen Region der Europäischen Union überschreiten mehr Berufspendler*innen jeden Tag eine nationale Grenze. Diese Grenzen waren in unserer Großregion und innerhalb der Europäischen Union schon lange keine gelebte Realität mehr. Weltweit war diese Art des gemeinsamen Lebens einzigartig.

Dennoch mussten wir uns schon in der Vergangenheit aktiv gegen nationalistischen Populismus und für den Erhalt unserer offenen Grenzen, beispielsweise in der #DontTouchMySchengen-Kampagne, einsetzen. Dabei haben wir oftmals die proeuropäischen Kräfte aus allen Parteien auf unserer Seite gewusst.

Die aktuelle Corona-Krise hat diese Situation jedoch deutlich geändert. Längst vergessene Zeiten innereuropäischer Grenzen, sogar innerhalb der Großregion, sind wieder präsent. Europäische Kooperation und Solidarität finden nur sehr zögerlich statt. Nationale Alleingänge statt europäischer Zusammenarbeit sind wieder an der Tagesordnung. Wir begrüßen die inzwischen angelaufenen Maßnahmen der Bundesregierung und verschiedener Landesregierungen, lebensnotwendige Materialien zu liefern, gestrandete EU-Bürger*innen auf Rückholflügen mitzunehmen und schwerkranke Patient*innen aus Italien und Frankreich aufzunehmen. Jedoch sind diese Hilfsmaßnahmen nicht ausreichend und verspätet. Die Krise wurde nicht nur zunächst als nationales Problem wahrgenommen, sondern innerstaatliche Interessen wurden aktiv vor das europäische Gemeinwohl gestellt, ehe erste Ansätze von Solidarität erkennbar waren.

Wir, die Jungen Europäischen Föderalisten der Großregion, fordern deshalb ein grenzüberschreitendes Krisenmanagement in Europa, insbesondere in der Großregion. Ebenso wenig, wie ein Virus, nationale Grenzen berücksichtigt, sollten unsere Aktivitäten an diesen Grenzen enden. Dazu fordern wir, ähnlich wie zwischen den Niederlanden, Belgien und Nordrhein-Westfalen, eine „Task Force Corona der Großregion“, die den Informationsaustausch verbessert und solidarische Hilfe koordiniert, um die gemeinsamen Kapazitäten grenzüberschreitend zu nutzen. Nach diesem Modell sollen in allen innereuropäischen Grenzregionen ähnliche Maßnahmen getroffen werden.

Darüber hinaus fordern wir, die Vereinbarungen des Schengener Abkommens umgehend, sobald die medizinische Lage es zulässt, wieder in Kraft zu setzen, nicht nur in der Großregion, sondern im gesamten Schengenraum. Die aktuelle Aussetzung des Schengener Abkommens muss als absolute Ausnahme angesehen werden und darf sich nicht wiederholen.

Um auf solche Situationen künftig besser reagieren zu können, fordern wir auch nach dem Ende der Krise, die Schaffung und Aufrechterhaltung europäischer Strukturen, die transnational in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union agieren können. Die Europäische Union ist besonders dann gefragt, wenn nationale Alleingänge keine effektive Lösung bieten, nicht nur um die Folgen der Pandemie zu bewältigen, sondern auch bei globalen Problemstellungen, wie dem Klimaschutz. Ebenso sollte die Verbesserung der Situation von Geflüchteten als gesamteuropäische Pflicht wahrgenommen werden. Nationale Überforderung kann durch frühzeitige, europäische Zusammenarbeit verhindert oder zumindest gemildert werden.

Wir wissen um die Schwierigkeit der aktuellen Situation, aber wir wissen auch, dass die Europäische Union massiven Legitimitätsproblemen ausgesetzt sein wird, wenn in dieser Krise gegenseitige Unterstützung und Solidarität nicht sichtbar werden. Aus diesem Grund fordern wir neben Direktmaßnahmen auch langfristige Reformen für eine weitere europäische Integration, nicht trotz, sondern wegen der aktuellen Krisensituation.